26. April 2017

FIND 2017 - Zwei Klassiker mit neuer Perspektive (Rückblick Tag 7 & 8)

Hamlet und Iphigenie  - sie gehören mit zu den bekanntesten Bühnenfiguren, die Dramen zum Lektürekanon im Schulunterricht, die Stücke oft gespielt auf deutschen Bühnen. Zwei englischsprachige Theatermacher haben sich der Figuren angenommen und als Inspiration für ihre Stücke genommen.

5.4.2017 Hamnet von Bush Moukarzel und Ben Kidd (Dublin)

Hamnet trifft auf seinen Vater. Richtig! Hamnet mit "n", nicht mit "l" wie in Hamlet. Es handelt sich um den "echten" Sohn William Shakespeares, der im Alter von elf Jahren starb. Hamnet kann zwar in einen Dialog mit seinem Vater treten, ihn jedoch nur als Geist auf der anderen Seite der Leinwand sehen. Bis die Perspektive wechselt und Shakespeare leibhaftig auf der Bühne steht, nun aber seinen Sohn nur als Geist wahrnehmen kann. Dead Center war schon im letzten Jahr mit zwei Produktionen zum FIND eingeladen: In "Lippy" wird eine Geschichte erzählt, die so vielleicht nie stattgefunden hat und mit "Checkov's First Play" hatten sich Dead Center auch schon einen Klassiker vorgenommen und im wahresten Sinne des Wortes zerlegt. In "Hamnet" stellt der 11jährige Junge Fragen an seinen abwesenden Vater und kann sich für die Antworten nur der Stücke Shakespeares bedienen, die er jedoch nicht versteht. Das Faszinierende an diesem Abend ist zum einen die Leistung des Kinderdarstellers Ollie West, zum anderen die technischen Tricks, die den Vater auf die Leinwand zaubern. Auf dieser sind die beiden vereint, sie spielen und sprechen zusammen. Auf der Bühne ist Hamnet allein.


"Hamnet" von Dead Centre, Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd (Foto: Gianmarco Bresadola)

Dead Centre, gegründet 2012 in Dublin von Bush Moukarzel und Ben Kidd. Ihr erstes Projekt »Souvenir« entwickelten sie für das Dublin Fringe 2012. Mit »Souvenir« gastierten sie in London und in New York. Das zweite Projekt »(S)quark!« fand in Dublin statt und reiste anschließend nach Russland (2013). »LIPPY « feierte in Dublin Premiere (2013) und tourte bereitsnach New York, London, Deutschland und Edinburgh. 2015 fand die Premiere von »Chekhov’s First Play« in Dublin statt und wurde u. a. in Holland, Estland, Berlin, Bordeaux und Brisbane gezeigt.

Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd
Text: Bush Moukarzel, Ben Kidd, William Shakespeare
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme: Grace O Hara
Lichtdesign: Stephen Dodd
Sounddesign: Kevin Gleeson
Video: Jose Miguel Jimenez
Dramaturgie: Michael West
Produktion: Matthew Smyth, Rachel Murray

Mit: Ollie West

Dauer: ca. 60 Minuten


Eine Koproduktion von Abbey Theatre und Dead Centre.



6.4.2017 Iphigenia in Splott von Gary Owen (Cardiff)

Die arbeitslose Effie lebt in Splott, einem Arbeiterviertel in Cardiff. Ihr Leben dreht sich um Ausgehen und Trinken. Als sie sich in einen Kriegsveteranen verliebt und von ihm schwanger wird, glaubt sie ihr Leben könnte sich ändern. Und sie glaubt plötzlich an die Liebe. Dank Effie kann der Ex-Soldat das erste mal seinen verstümmelten Körper ohne Scham zeigen. Sie muss allerdings bald feststellen, dass er eine Familie hat und statt ihn zu verpflichten, sich um das Kind zu kümmern, beschließt sie das Familienglück nicht zu zerstören. Sie "opfert" sich, um einem anderen zu helfen. Dennoch möchte sie das Kind zur Welt bringen. Endlich hat sie nicht nur eine Aufgabe, sondern weiß auch, dass sie nicht mehr alleine sein muss. Doch die Geburtswehen setzen viel zu früh und ausgerechnet in einer Unwetternacht ein, der Krankenwagen, der sie in eine Klinik für Frühgeburten bringen soll, kommt nicht rechtzeitig an. Das Kind stirbt bei der Geburt. Obwohl sie die Möglichkeit hat, das Krankenhaus zu verklagen und so eine hohe Summe kassieren könnte, die ihr finanzielle Sicherheit bringen würde, sieht sie davon ab, die Klage durchzubringen. Warum? Um die Angestellten des Krankenhauses zu schützen, denn die hohe Zahlung würde für das Krankenhaus hohe Einsparungen bedeuten, Entlassungen würden folgen und damit eine schlechtere Versorgung der Patientinnen. Effie "opfert" sich ein zweites mal. - "Iphigenia in Splott" ist inspiriert von der Geschichte der Iphigenie, die in der griechischen Mythologie von ihremVater geopfert wurde, um gute Winde für die Fahrt nach Troja zu bekommen. Doch hier geht es um ein marodes Sozialsystem und Opfer, die gebracht werden müssen, um Profitinteressen nicht weiter zu befüttern. - Sophie Melville spielt die Effie mit Arbeiter*innenjargon und Proll-Klamottten so echt, dass man irgendwann vergisst, dass es sich hier um eine Schauspielerin handelt. Im anschließenden Publikumsgespräch erzählt sie, dass ihr Leben auch wie das der Effie hätte verlaufen können...
Eine beeindruckende Leistung und eine bewegende Geschichte!


"Iphigenia in Splott" von Gary Owen, Regie: Rachel O'Riordan (Foto: Mark Doeut)

Mit "Iphigenia in Splott" gewann Gary Owen den Preis für das Beste Neue Stück bei den UK Theatre Awards 2015, den James Tait Black Drama Prize, sowie den George Devine, Meyer Whitworth und Pearson Best Play Award. Weitere Stücke: "Violence and Son", "Crazy Gary’s Mobile Disco", "The Shadow of a Boy", "The Drowned World", "Mrs Reynolds and the Ruffian" und "Love Steals Us From Loneliness".

Eine Produktion des Sherman Theatre, Cardiff.

Regie: Rachel O’Riordan   
Bühne und Kostüme: Hayley Grindle
Mit: Sophie Melville

Dauer: ca. 80 Minuten


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